Kim Wilde, Offenbach, Stadthalle, 5. Dezember 1983

Von Donald (Primitiefes Leben, Nr. 11, 17. Dezember 1983)

(Gebloggt mit freundlicher Genehmigung von PL-Herausgeber Patrick Orth)

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seit jahren ein hit

schon tage vor dem konzert war ich total aufgeregt und konnte es gar nicht glauben, dass ich an diesem tag wirklich mein idol aus nächster nähe betrachten durfte/sollte/musste.

ich hatte die ganze nacht nicht geschlafen (wirklich!!) und macht mich mit flauem magen nachmittags auf den beschwerlichen weg in die provinz.

an der stadtgrenze glaubte ich noch 10 minuten auf die nächste bahn warten zu müssen, so eilte ich zum nächsten Kiosk, um erst mal ’nen magenbitter einzufahren.

um diesen hinunter zu spülen, bestellte ich noch schnell ein bier, doch da kam schon meine bahn angerauscht.

was tun, statt muhen?

das bier in der tram trinken (äußerst asenhaft!) oder das konzert vielleicht verpassen?

in meiner not trank ich die flasche innerhalb von 20 sek. aus und stellte sie dem verdutzten kioskbesitzer vor die nase.

dieser rief mir noch „hastjanenganzschönenzugamleib“ hinterher, während ich von einer magenkolik gebeutelt zur bahn kroch (lufttemperatur -5 grad, biertemperatur +2 grad).

das ist ja fast wie in alten zeiten, dachte ich mir, und meine laune wurde immer besser.

endlich in der stadthalle angekommen, machte ich mich erstmal auf die Suche nach bekannten gesichtern.

doch zu meinem erstaunen traf ich nur auf dieter k (ex-vomit-visions) und peter lack (ex-radierer), die extra aus dem hintertaunus angereist waren, um dem idol aller jungen männer zu huldigen.

von kuchen und körperfresser keine spur (das grenzt an blasphemie!!).

dafür entdeckten wir kims vater marty wilde, der hektisch durch die halle rotierte.

gleich darauf ging das licht aus, und mein magen, der sich gerade von dem tiefkühlschock erholt hatte, zog sich krampfartig zusammen.

war es tatsächlich schon soweit?

das war wie weihnachten und ostern zusammen.

aber nein, erst sollte noch eine gruppe namens the perfect zebras spielen, und die armen jungs hatten einen schweren stand.

der mob forderte kim wilde.

ich glaube, wenn die zebras auch nur eine sekunde länger als die üblichen 20 minuten gespielt hätten, wäre es zu schweren ausschreitungen gekommen, da meine nerven zum zerreisen gespannt waren.

nach relativ kurzer umbaupause ging wiederum das licht aus.

auf der bühne konnte man ein paar schatten erkennen, während vom tonband die instrumentalversion von „cambodia“ kam.

von takt zu takt wurde ich nervöser, denn am ende des liedes musste sie kommen, das war klar.

plötzlich ein greller blitz und die band fetzt los.

der saal ist in gleissend helles licht getaucht.

der mob rast, denn das erste stück ist „checkered love“.

doch wo ist kim?

da!

wie aus dem nichts steht sie im trockeneisnebel und grinst mich an!!!!!!!

die lautstärke erinnert stark an motörhead, und auch sonst läßt die gruppe nichts zu wünschen übrig.

ihr könnt euch nicht vorstellen, wie mir zumute war.

es war eine mischung aus schlaganfall, herzinfarkt, milzbrand und ekstatischer verzückung.

sex in der stimme

die ersten 3 songs werden fast pogomäßig runtergespielt, und kim singt wie eine junge Göttin.

sie ist mal ernst, mal traurig oder auch fröhlich ausgelassen.

sie schüttelt hände, wirft sich für die fotografen in pose und lächelt die ganze zeit.

bei einem langsamen liebeslied von der ersten lp begleitet sie sich selbst auf einem synthie, um gleich darauf nach „view from a bridge“ anzustimmen.

sie schafft es wirklich, glasklaren studiosound auf die bühne zu bringen.

bei vielstimmingen stücken wird sie durch tapeeinspielungen unterstützt, und ein song jagt den nächsten.

irgendwann, ich weiß nicht nach wie viel jahren, ist schluß, und ich bin total geschafft.

tränen laufen mir die wangen herunter und ich schäme mich ihrer nicht (ehrlich!!).

es muß noch eine zugabe geben, sonst gäbe es den ersten selbstmord auf einem popkonzert.

und wirklich, sie kommt zurück, über beide backen strahlend, und ich raste vollkommen aus.

„we’re the kids in america“-polizeisirenen jaulen in bestialischer lautstärke durch den raum.

das licht geht an.

schluß, aus.

ich kann nicht mehr.

ein jahrhundertkonzert ist zu ende (meine nerven am selbigen).

die Stunde des Sterbens

dieter und peter meinten, man müsste, nachdem sich alle narren verpisst haben, zu kim persönlich vorstoßen.

also warten wir 20 Minuten, bis die Halle leer ist und hängen uns an einen fotografen, den die beiden kennen.

dieser führt uns auf unbekannten schleichpfaden hinter die bühne in die nähe der garderobe.

und da kommt sie tatsächlich die treppe herunter.

mir schwinden die sinne.

das ist doch alles nur ein traum.

aber nein, sie steht wirklich vor mir, lächelt unbefangen, während ich wie ein idiot vor ihr stehe und keinen Ton herausbekomme.

endlich schaffe ich es, ihr meinen personalausweis in die hand zu drücken, in den sie ihr autogramm setzt, mit 2 X drunter (also 2 küsse). 

dieter kriegt 3, weil er ihr eine elvis-costello-kassette geschenkt hat (schweinehund!!). [1]

peter wollte sie eigentlich fragen, ob sie ihn heiraten wolle, aber angesichts des finster dreinblickenden tourbegleiters lässt er es lieber.

ich kriege immer noch keinen ton raus.

es herrscht andachtsvolles schweigen, bis wir gehen müssen, denn die nächsten autogrammjäger warten schon ungeduldig.

draussen vor der halle kann ich erst wieder einigermaßen klar denken.

der abend hat mich wirklich stark mitgenommen.

dieter fährt mich nach hause, ich falle überglücklich ins bett und träume von kim und mir und unseren 13 kindern.

TicketKimWildOffenbach

Presseticket, Wasted Vinyl Collection

[1] Costello war der Lieblingssänger von Kim. Als ich ihr das Tape (Rockpalast 1978 und damals unveröffentlichte Demos) gab, fragte sie mich:

„Is it any good?“

Ich antwortete (in meinem besten Sibylle-Berg-English): „Do I look like I would give you some Schrott, äh, trash?“

Daraufhin musterte sie mich mit einem spöttischen Blick von Kopf bis Fuß (und zurück) – ein Blick, der allein schon das Eintrittsgeld wert war – und sagte, dass sie mal in einem Interview erwähnt habe, das Pferde ihre Lieblingstiere sind, und seitdem bekomme sie ständig irgendwelche Pferdebilder und ähnliches geschenkt.

Kim Wilde, Select, RAK/EMI-Electrola, 1C 264-64 787, 1982, Signed, Wasted Vinyl Collection

Das Konzert 15 Monate später in der Alten Oper war nicht ganz so gut wie das in Offenbach, aber dafür traf ich Kim ohne störende Begleiter.

Wasted Vinyl Collection

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